Warum die Zielgruppen-Denke ausgedient hat?
- ZurĂŒck zur Ăbersicht
- 8 min Lesezeit
- Teilen:
Man hat uns Kommunikatoren auf unserem Ausbildungsweg mitgeteilt: Die Zielgruppe ist der Adressatenkreis jeder Kommunikation, egal ob im Marketing oder in der Corporate Comm! Damit das spezifischer wird, hat man dann schnell von Zielgruppen gesprochen. Und versucht, sie nÀher zu charakterisieren, etwa mit sozio-ökonomischen oder geografischen Merkmalen wie zum Beispiel die Generation Y, MÀnner zwischen 30 und 40, die Bewohner von Wien. Oder man hat schlicht Stakeholder-Kategorien der Organisation zur Segmentierung herangezogen: die Kunden, die Lieferanten, die Medien. Klingt zur Kommunikationssteuerung bei genauerer Betrachtung irgendwie alles nicht nach Weisheit letzter Schluss, oder?
Dialog- oder Zielgruppen?
Viele PRler hatten und haben mit dem Begriff Zielgruppen so gar keine Freude und sprechen lieber von Dialoggruppen. Manche tun das, um sich vom Marketing abzugrenzen. Das ziemlich sinnbefreite Gerangel zwischen Marketing und Unternehmenskommunikation, was denn nun ursprĂŒnglicher oder wichtiger sei, habe ich schon nĂ€her diskutiert: https://bit.ly/2P2UWKW
Die anderen wiederum unterstellen mit dem Begriff der Dialoggruppe, dass man als Absender stets mit den EmpfÀngern im Dialog ist bzw. in den Dialog kommen möchte. Aber ist das wirklich so?
Die SchwÀchen beider Konstrukte
Möchte man als Organisation wirklich immer unmittelbar Response? Gehtâs nicht oftmals vielmehr um eine Verhaltensdisposition statt einer angestrebten Verhaltensweise? Oder schlicht um ein Nicht-Verhalten? Interaktion in Form eines Dialoges ist das dann jedenfalls nicht. Die Dialoggruppe als Einheit der Kommunikationssteuerung? Ebenfalls Luft nach oben!
Egal, ob man nun von Dialoggruppen oder Zielgruppen spricht: Beide Konstrukte haben entscheidende SchwĂ€chen. Allen voran die der Ăbersegmentierung. Und der Profillosigkeit. Die Ăbersegmentierung ist uns in ihrer Ratio bereits in die (Bildungs)Wiege gelegt. Nein, Kinder begreifen die Welt noch gesamtheitlich â bis sie in die Schule kommen. Unser Bildungssystem tut ab diesem Zeitpunkt alles, um Kindern ihre gesamtheitliche Sichtweise zu nehmen. Da wird die Welt in FĂ€cher unterteilt â und abgegrenzt, was das Zeug hĂ€lt. Welche Anmutung hat bei Ihnen der Begriff âfĂ€cherĂŒbergreifender Unterrichtâ? Meist erzeugt er auch heute noch bei uns das GefĂŒhl von âSchulversuchâ und âzeitlich begrenzter Projektarbeitâ.
Nach Jahren der Fragmentierung sind wir dann plötzlich in der âfreien Wildbahn des Lebensâ verwundert, dass unsere Welt ein gesamtheitliches fragiles System darstellt: Dreht man sinnbildlich an einem SchrĂ€ubchen, drehen sich drei weitere gleich mit. Das gilt natĂŒrlich auch fĂŒr die Kommunikation als der Querschnittsmaterie schlechthin! Zur Problemlösung rufen dann alle nach den kompetenten Generalisten, nach Querdenkern und Ăber-den-Tellerrand-BlickernâŠ
Die andere entscheidende SchwĂ€che der Konstrukte Zielgruppe und Dialoggruppe ist die Profillosigkeit. Ich muss in diesem Zusammenhang an einen frĂŒheren Vorgesetzten denken, der immer voller Ăberzeugung sagte: âZiel unserer Kommunikation ist das gute Image unserer Firma.â
Ja eh, das gute Image. Ich höre dazu einen meiner Uniprofs an der Linzer JKU in Soziologie: â Ich ersuche um Operationalisierung!â Was versteht man denn nun genau unter âgutâ? Bei Employer Branding Diskussionen frage ich meine GesprĂ€chspartner gerne, was ein guter Arbeitgeber sei â aus Sicht eines Lehrlings, einer Uniabsolventin, eines Mitarbeiters knapp vor seiner Pensionierung oder aus Sicht einer Wiedereinsteigerin. Die Aufladung von âgutâ schillert da ziemlich stark â und hat gleichzeitig doch auch gemeinsame Wurzeln fĂŒr alle.
Das Korsett der Zielgruppen- und Dialoggruppenorientierung verlassen
Was mĂŒssen wir aus meiner Sicht in der Kommunikation also tun?
- Wir mĂŒssen in Communities einer Organisation denken und handeln. Das sind jene Menschen, deren Verhalten fĂŒr unsere Organisation erfolgskritisch sein kann bzw. ist. Und die eine subjektive Betroffenheit durch unsere Organisation verspĂŒren. Es gibt also eine Wechselwirkung, die aber nicht notwendigerweise in direkter Interaktion und unmittelbarer Verhaltensweise zu finden ist. Und diese Wechselwirkung gilt es durch Kommunikation positiv fĂŒr beide zu gestalten.
- Wir mĂŒssen aufhören, unser Weltbild zu fragmentieren. Ja, natĂŒrlich braucht es Fachdisziplinen, Fachwissen, Know-how in der Tiefe â mehr denn je. Aber es braucht gleichzeitig Menschen, die wissen, wo sie dieses Wissen abrufen können, die es in der Breite sehen, anwenden, verknĂŒpfen können. Nie waren die optimale Zusammenstellung eines Teams, die Implementierung optimaler Tools, Prozesse und Schnittstellen sowie die optimale Ausgestaltung von Know-how-Abrufen wichtiger als heute - nicht nur, aber vor allem auch in der Kommunikation.
- Im selben Atemzug gilt das fĂŒr Daten â und hier werden die Karten der WettbewerbsfĂ€higkeit und des Erfolges gerade heftigst neu gemischt. DĂ©jĂĄ vĂș: Wir mĂŒssen aufhören, unsere Datenwelt zu fragmentieren. Ja natĂŒrlich braucht es Fachdaten in der Tiefe â mehr denn je. Aber es braucht gleichzeitig Menschen, die wissen, wo sie diese Daten abrufen können, die sie in der Breite sehen, anwenden, verknĂŒpfen können. Nie waren die optimale Zusammenstellung von Daten, die Implementierung optimaler Tools, Prozesse und Schnittstellen sowie die optimale Ausgestaltung von Data-Abrufen wichtiger als heute â nicht nur, aber vor allem auch in der Kommunikation.
- Wir brauchen höchsten Individualismus bei gleichzeitiger BerĂŒcksichtigung der kollektiven Wurzeln. Und das 24/7, ĂŒber alle KanĂ€le und Tools hinweg. Proaktiv, nicht reaktiv. Wir dĂŒrfen nicht mehr um Relevanz aus Sicht des EmpfĂ€ngers betteln, wir mĂŒssen Betroffenheit erzeugen und so aus der Reaktion in die ProaktivitĂ€t kommen. Das ist der Stoff der erfolgreichen Kommunikation!
Fazit
Klingt alles nach einem groĂen Change und sehr viel Arbeit? Absolut! Dieser Paradigmenwechsel wird keinen Stein auf dem anderen lassen und die Kommunikationsbereiche der Organisationen ĂŒber die nĂ€chsten Jahre enorm fordern und beschĂ€ftigen. Viele werden warten, bis die Luft so dĂŒnn ist, dass es ums Ăberleben geht. Und das geht schneller, als man glaubt. Wer jetzt den Change beginnt, ist lĂ€ngst nicht mehr First Mover, aber hat die StĂ€rke der ProaktivitĂ€t noch an seiner Seite. Also: Letâs move!
Haben Sie dazu Kommentare oder RĂŒckfragen? Dann freue ich mich auf Ihre Nachricht: office@cs2.at.