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MAN Steyr: Learnings aus einer (vorerst) gescheiterten Werksübernahme

MMag. Dr. Peter Weixelbaumer
Strategie & Consulting, CEO cs2 Communication & Strategy Services

Die (vorerst) geplatzte Übernahme des MAN Standortes Steyr durch einen erfolgreichen Industriellen und Investor hat gezeigt: Selbst strategisch günstige Rahmenbedingungen sind kein Garant für Erfolg – wenn man als Allheilmittel auf jahrzehntelang bewährte Kommunikations- bzw. Entscheidungsmechanismen setzt. Denn genau die funktionieren heute oftmals nicht mehr. Eine Analyse aus Beobachtersicht.

cs2, (vorerst) gescheiterte Übernahme MAN Steyr
Pixabay

Der internationale Fahrzeug- und Maschinenbaukonzern MAN zieht sich nach gut 30 Jahren aus seinem Standort im oberösterreichischen Steyr zurück. Die Ankündigung der Werksschließung platzte am 11. September 2020 für viele wie eine Bombe.1) Doch so richtig überraschend kam dieser Schritt der Münchner Konzernzentrale für Beobachter nicht. Schon Jahre zuvor wurden mit den Arbeitnehmervertretern des Werkes Steyr neue Rahmenbedingungen verhandelt, um am Standort aus Sicht des MAN Managements an Wettbewerbsfähigkeit zuzulegen.

Ein Ergebnis dieser Verhandlungen war eine Standort- und Beschäftigungsgarantie bis ins Jahr 2030: 2019 wurde sie von MAN unterschrieben.2) Zwei Jahre und eine Ankündigung der Werksschließung später, ist es genau diese Garantie, die gehörig in die Übernahmepläne des österreichischen Investors und Automotivspezialisten Siegfried Wolf hineinfunkt – zwar nicht rechtlich, aber emotional.

Gute strategische Ausgangslage

Dabei waren die strategischen Voraussetzungen in Summe für eine reibungslose Übernahme sehr gut und die ersten Schritte wurden wohlbedacht gesetzt:

  • Siegfried Wolf gilt unbestritten als erfolgreicher Manager und Experte des automotiven Sektors. Er braucht um seine Rolle als starker Macher der Branche, der "weiß, wie es geht“, nicht zu kämpfen – ein strategisch großer Vorteil.
  • Wolf fand sich mit seinem Übernahmekonzept in einer Art Monopolstellung: Alternative Weiterführungskonzepte des Standortes Steyr erhielten kaum Öffentlichkeit. MAN selbst kommunizierte konsequent, dass außer Wolfs Konzept kein fundiertes Angebot auf dem Tisch läge – und so auch nur mit Wolf verhandelt werden würde. Der Konzern ließ sich das sogar noch durch ein Gutachten untermauern.3)
  • Siegfried Wolf konnte sich so als „der Problemlöser“, der das Werk nach dem Ausstieg von MAN vor der Schließung bewahrt und viele Arbeitsplätze rettet und in eine gemeinsame erfolgreiche Zukunft bringen würde, progressiv positionieren: zwar mit geringerer Beschäftigtenzahl und zu niedrigerem Lohnniveau, aber mit neuen Produkten und attraktiven Marktchancen.4)
  • Zu den „good news“ der Standortrettung spielte Wolf gezielt eine starke emotionale Karte aus: Er kündigte das Wiederaufleben der Traditionsmarke Steyr an.5) Die Gefühlswelt der „eigenen österreichischen Automobil- und LKW-Marke“ wurde gekonnt adressiert.
  • Auf der sachlichen Flanke zeigte eine Studie auf, dass durch die Schließung des Standortes knapp 6.000 Arbeitsplätze in der Region verloren gehen würden – ein starkes Argument, die Übernahmepläne von Siegfried Wolf als die bessere Alternative klar positiv zu bewerten.6)
  • In den Medien herrschte zur Initiative Wolfs folglich durchwegs Wohlwollen, ja teilweise Euphorie.
  • Auch Politik und Interessensvertretungen kommentierten die Investitionspläne in Summe positiv.

Der Weg zum NEIN!

Am 26. März informierte Siegfried Wolf die Belegschaft des MAN Werkes in Steyr über seine Pläne – bei einer in Summe also "sehr positiven strategischen Großwetterlage". Doch die lokalen Turbulenzen zeichneten sich bereits an diesem Tag klar ab: Die Stimmung wurde als „aufgeheizt“ beschrieben. Die Arbeiterbetriebsrat sah den Preis der Belegschaft für das Konzept als „zu hoch“.7)

Knapp zwei Wochen später fand über das Konzept von Wolf eine Mitarbeiterurabstimmung im MAN Werk Steyr statt. Ihr Ergebnis schlug ähnlich der Schließungsmeldung durch MAN ein halbes Jahr zuvor wie eine Bombe ein: Fast zwei Drittel der Belegschaft lehnten das Übernahmeangebot ab.8) Die Aussagekraft des Ergebnisses war durch eine Wahlbeteiligung von 94 % gut abgesichert.9)

Wolf hatte im Vorfeld eine ungeteilte Zustimmung, zumindest aber zwei Drittel Ja-Stimmen als Ziel ausgerufen. Nach der deutlichen Abstimmungsniederlage zog er sich zurück.10) Vorerst, denn schon kurze Zeit später brachte er ein „nachgebessertes Angebot“ in die Diskussion.11)

Mit Ende Mai laufen die Gespräche – ein erfolgreicher Abschluss ist zwar nicht sicher, scheint aber durchaus wahrscheinlich. Dennoch hat die abrupte Zwischenniederlage durch das Abstimmungsergebnis nicht nur zu einem Reputationsverlust und einer Beschädigung des Konzeptes, sondern letztlich zur Verankerung des „erzwungen nachgebesserten“ Übernahmepaketes für Siegfried Wolf geführt.

Essentielle Learnings

Wie konnte eine fast ideale strategische Ausgangsposition nicht besser genützt werden? Worin lagen die zentralen Fehler? Hier essentielle Learnings aus dem Projektverlauf:

1. Beachte die Erfolgskritikalität deiner Stakeholder

Ein aus Beobachtersicht schwerwiegender Fehler lag darin, sich auf die Stakeholder MAN, Politik und allgemeine Öffentlichkeit zu konzentrieren, aber die Belegschaft von MAN Steyr in der Kommunikation zu vernachlässigen. Dabei war schon vorweg klar, dass die MitarbeiterInnen mit der Urabstimmung zur Übernahme eine zentrale Entscheidungsrolle innehatten ­– und damit eine zutiefst erfolgskritische Stakeholdergruppe waren. Früher hätte man damit gerechnet, dass ausgeprägt positive externe Rahmenbedingungen schwierigere interne Gegebenheiten überdecken. Dieser Automatismus gilt heute längst nicht mehr. Eine fundierte Stakeholderanalyse im Vorfeld hätte hier die Kommunikationsstrategie entsprechend ausgerichtet.

2. Emotionen schlagen Fakten

Business-Entscheider sind zahlen- und faktengetrieben, sonst wären sie nicht erfolgreich. Doch Emotionen spielen immer eine Rolle – bei geplanten Übernahmen sogar eine entscheidende. Die Strategen rund um Wolf waren wohl der Ansicht, dass sachlich betrachtet die Wahl zwischen „keinen Job mehr zu haben“ und „weiter einen Job zu haben, auch wenn dieser schlechter bezahlt ist“ eine klare Sache wäre: Zwar würde es ein Murren geben, am Ende des Tages sollte es aber eine mehrheitliche Zustimmung in der Belegschaft geben. Aus dem Zusammenhang gerissen mag das plausibel erscheinen, im Kontext der Rahmenbedingungen bei MAN Steyr war es das aber nicht. Dass die Gefühlswelten mehrheitlich gegen eine Zustimmung zum Übernahmepaket sprachen, war wohl spätestens mit der Betriebsversammlung deutlich spürbar. Die Kommunikation hätte im gesamten Prozess noch mehr Zugehen und Eingehen auf die Belegschaft und ihre Interessensvertretung, noch mehr Argumentieren und Plausibilisieren der geplanten Übernahmekonditionen und noch mehr Aufzeigen und Bilden eines gemeinsamen Weges und Zieles erfordert. Dem Bild „Der Wolf im Schafspelz“ entschieden und vor allem auch emotional entgegenzuwirken, hätte top auf der Agenda der (Kommunikations-)Strategen stehen müssen.

3. Kenne deine Zielgruppen

Damit eng in Zusammenhang steht eine naheliegende und unersetzliche Grundregel der (strategischen) Kommunikation: Kenne deine Zielgruppen möglichst genau, setze dich mit ihnen auseinander. Das scheint unzureichend passiert zu sein. Die Fachkräfte in Steyr verbindet, dass sie stolz und selbstbewusst sind: Sie wissen, dass sie qualitativ Top-Arbeit leisten und dass sie gefragt sind. Eine lokale Dichte an starken (internationalen) Unternehmen und eine ausgeprägte Historie als Industriestadt spiegelt die Leistungsfähigkeit und besondere Stellung der Fachkräfte in Steyr wider. Dass die alte Eisenstadt historisch ein stabiles sozialdemokratisches Bollwerk ist und gleichzeitig zu den Orten mit dem höchsten Durchschnittseinkommen Österreichs zählt, sind weitere charakteristische Rahmenbedingungen rund um die Belegschaft von MAN Steyr und ihren sozialen Umfeldern. Eine vorab intensivere Auseinandersetzung mit diesen Spezifika hätte Positionierung, Kernbotschaften und Tonalität der Konzeptkommunikation maßgeblich beeinflusst und eine erwartbare „So-nicht-mit-uns“-Reaktion der Belegschaft zu verhindern versucht.

4. Setze (mehr denn je) auf Vertrauen, Mehrwert, Win-win

Siegfried Wolf ist ein Geschäftsmann und Macher. Das hat er durch Erfolge mehr als bewiesen. Dass er den Standort in eine positive Zukunft führen könnte, wollen ihm selbst Interessensgegner nicht absprechen. Hypothek und Risiko lagen aber ganz woanders: in einer seit Monaten aufgeheizten Stimmung in der Belegschaft und in einem durch die Ereignisse genährten Misstrauen den wirtschaftlichen Entscheidern gegenüber. Der Dreiklang „Vertrauen, Mehrwert und Win-win“ hätte von Beginn der Kommunikation Richtung Belegschaft eine konsequente Rolle spielen müssen – nicht nur in der direkten Interaktion, sondern auch in der Kommunikation „über die Bande“, also in den Botschaften Richtung Medien, Politik, Interessensvertreter. Den Schwerpunkt auf eine Informationsveranstaltung relativ knapp vor der Mitarbeiterurabstimmung zu setzen, war riskant. Bei der Betriebsversammlung dann noch auf Rückenwind durch wohlwollende Worte des ebenfalls anwesenden MAN-Vorstandes zu hoffen, war hochriskant. Denn die MitarbeiterInnen empfanden und empfinden die Aufkündigung der Standort- und Beschäftigungsgarantie durch MAN als grobe Ungerechtigkeit – aus ihrer Sicht haben sie den vereinbarten Beitrag im Gegensatz zu MAN geleistet. So wurde das Konzept von Siegfried Wolf – obwohl inhaltlich gar nicht verbunden – in einen Topf mit der aufgekündigten MAN-Vereinbarung geworfen – und war so hinsichtlich Image und Glaubwürdigkeit in weiten Teilen der Belegschaft beschädigt. In Interviews zeigte Wolf immer wieder Verständnis für den Zorn der Belegschaft, er hätte aber noch stärker untermauern müssen, dass man ihm vertrauen kann, dass die Kooperation mit ihm quasi eine Antithese zur erlebten jüngeren Vergangenheit am Standort ist – und das aber, ohne seine Beziehung zu MAN zu beschädigen. Eine schwierige Gradwanderung, aber nicht nur möglich, sondern unerlässlich.

5. Ein großes Vorhaben braucht ein durchdachtes Narrativ

So bitter es für Faktenorientierte ist: Ein sachlich auf der Siegerstraße laufendes Vorhaben wurde – zumindest zwischenzeitlich – durch Gefühle gestoppt. Die „Geschichte“ zur Rettung des Standortes Steyr hätte viel mehr die emotionalen Welten der unmittelbar betroffenen Menschen berücksichtigen und adressieren müssen. Die Angstkeule (zum Beispiel mit der Botschaft „Steyr darf nicht Detroit werden“12)) erweist sich in der Regel als deutlich weniger erfolgreich, als die gemeinsame positive Stimmung für etwas – oftmals sogar im Gegenteil: Negative Emotion erzeugt Druck und dieser Reaktanz, also Widerstand. Ein starkes, vor allem emotional aufgeladenes und gleichzeitig authentisches Narrativ hätte Teil der Kommunikationsstrategie sein und die Kommunikation stringent prägen müssen.

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