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Kommentar: „Vergeigt!“ Learnings aus dem AstraZeneca Kommunikationsdebakel

MMag. Dr. Peter Weixelbaumer
Strategie & Consulting, CEO cs2 Communication & Strategy Services

Eine einzigartige Erfolgsstory hätte der Coronaimpfstoff von AstraZeneca werden können, ein Kommunikationsdesaster ist daraus geworden. Was KommunikatorInnen daraus lernen sollten.

cs2, Symbolbild AstraZeneca
Pixabay

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Der Pharmakonzern AstraZeneca hat einen der ersten hochwirksamen Impfstoffe gegen das Coronavirus entwickelt. Gegen SARS-CoV2, das die erste wirklich fast flächendeckende Pandemie der Menschheitsgeschichte ausgelöst und eine weltweite Gesundheits- und Wirtschaftskrise nach sich gezogen hat. Und dann hat man nach Monaten der Krise als einer der ersten Anbieter weltweit die Lösung in der Hand – noch dazu mit starken strategischen Vorteilen zum Mitbewerb.

     

 

Der AstraZeneca Impfstoff ist deutlich günstiger als andere, bei Transport und Lagerung viel weniger sensibel und damit spürbar einfacher zu verteilen. Und er ist für Monate der einzige Vektorimpfstoff im Angebot: Im Gegensatz zu mRNA-Impfstoffen sind Vektorimpfstoffe als Verfahren seit vielen Jahren erfolgreich eingesetzt und erprobt. Und last but not least kann AstraZeneca von sich behaupten, als Unternehmen selbst und als seine zwei Vorgängerorganisationen erfolgreich am Markt zu sein - was Kooperationspartner anderer Impfstoffentwickler nicht sagen können.

Wir haben also einen Mix, aus dem die Kommunikationsträume sind: einzigartige Problemlösung eines global dominierenden Problems mit hoher Relevanz für alle Menschen, Vertrauen, Bekanntheit, hohe Wirtschaftlichkeit und Effizienz.

Das ist für KommunikatorInnen ungefähr so, als würde man sich beim Finale der Fußball-WM den Ball für den alles entscheidenden Elfmeter herrichten – und das vor einem Tor ohne Tormann. Man bräuchte den Ball behutsam ins leere Tor rollen…

AstraZeneca hat es hingegen sinnbildlich zu Wege gebracht, den Ball nicht nur weit am Tor vorbei zu schießen, sondern ihn auch noch den höchsten Ehrengästen auf der Ehrentribüne schön öffentlichkeitswirksam mitten ins Gesicht zu knallen.

Pointiert die öffentliche Dramaturgie, die einen Hoffnungsträger imagemäßig zerlegt hat:

  • Früh wurden in den Medien Stimmen breit, der Impfstoff von AstraZeneca sei im Vergleich zu anderen weniger wirksam.1 Später hat sich das wieder relativiert. Das Image des AstraZeneca Vakzins als „nicht so guter Impfstoff“ ist aber in den Köpfen der Menschen geblieben.
  • Im Zuge des Zulassungsverfahrens durch die Europäische Arzneimittelbehörde EMA wurde medial berichtet, AstraZeneca müsse noch Daten nachliefern, um zugelassen werden zu können. Ob der Impfstoff wirklich für alle Erwachsenen geeignet sei, wurde diskutiert.2 Vertrauensbildend wirkt so etwas nicht.
  • Im Gegensatz zu anderen Coronaimpfstoffen machte früh die Runde, dass die Impfnebenwirkungen weitläufig und unangenehm seien.Wieder wurde das Vertrauen in den Impfstoff beschädigt.
  • Nach der EMA-Zulassung wurde in Europa rasch ersichtlich, dass die fixierten Liefermengen von AstraZeneca nicht zu halten waren. Über Wochen berichteten die Medien vom Gezerre zwischen AstraZeneca und der Europäischen Kommission, wann wie viele Impfdosen geliefert würden. Und ob im Vertrag der beiden nun von fixen Liefermengen oder doch nur von Zielgrößen die Rede war.4 Der CEO von AstraZeneca höchstpersönlich rückte ins Rampenlicht5 – er ist in den Köpfen der Menschen geblieben, seine Argumente zu den Lieferverzügen allerdings nicht. Damit war der so wichtige Trust-Faktor endgültig dauerhaft beschädigt. Und der ebenfalls wichtige Faktor Glaubwürdigkeit kam ebenfalls unter die Räder.
  • On top kamen in der Folge mediale Berichte über mögliche schwerwiegende Nebenwirkungen des Impfstoffs und mögliche Todesfälle.6 In der Wahrnehmung der Menschen wurde die Dramatik durch Verteilpausen und neuerliche wissenschaftliche Überprüfungen des Impfstoffes in mehreren Ländern bzw. durch die Einschränkung des Personenkreises, an den das AstraZeneca Vakzin verimpft werden soll.7
  • Trotz des hohen Leidensdrucks gibt es seither immer wieder Berichte aus mehreren Ländern, dass Chargen des AstraZeneca Impfstoffes übrigbleiben, mangels Verimpfung sogar entsorgt werden oder auf Lager liegen. Viele würden eine Impfung mit dem Vakzin verweigern.8
  • Sagt Ihnen ChAdOx1- etwas? Oder Vaxzevria? Der erste Name war der Projektname des AstraZeneca Vaxins, der zweite Name der im Frühjahr vergebene neue Name des Vaxins.9 Nur weiß das kaum jemand, der Impfstoff ist unter dem Unternehmensnamen AstraZeneca in den Köpfen der Menschen verankert – und mit ihm die Imageschäden. So wird die Dachmarke über die Coronaimpfung hinaus einen negativen Spin haben und viel Aufwand und Ressourcen brauchen, um diesen nachhaltigen Imageschaden wieder zu beheben.

Was hätten die AstraZeneca Kommunikatoren besser machen können – ja müssen?

  • Das Kommunikationsteam kann eventuelle Fehler oder Schwächen in einem Entwicklungs- oder Produktionsprozess nicht beheben. Aber eine progressivere Informationspolitik und die Vermittlung von Offenheit und Transparenz hätten den Vertrauensverlust von AstraZeneca wohl spürbar gemildert. Und Vertrauen ist bei einem Impfstoff ein grundlegender Erfolgsfaktor. Hier liegt ein Hauptversäumnis der AstraZeneca Kommunikation: man hat die Vertrauensbildung und Vertrauensabsicherung viel zu sehr vernachlässigt.
  • Die Positionierung des CEO als Überbringer der schlechten Nachrichten war ein strategisch schwerer Fehler. So bekommt die Negativbotschaft nochmals mehr Gewicht und ist noch enger mit dem Unternehmen verbunden. Nicht von ungefähr lautet eine Grundregel in der Krisenkommunikation, das Top-Management aus der volatilen und unsicheren Phase einer Krise herauszuhalten und die Botschaften auf Experten- und Sprecherebene abzusetzen. Der CEO kommt dann mit der positiven Nachricht, der Lösung.
  • Die Argumentationsstrategie zu den geringeren Lieferumfängen in der EU wirkt undurchdacht und sprunghaft. Vorab klar überlegte, inhaltlich abgesicherte Argumentationen sind gerade in der Krisenkommunikation essentiell, gleiches gilt für „one voice“ der Organisation, damit die gewünschten Kernbotschaften klar profiliert werden.
  • AstraZeneca hätte noch viel mehr auf Informationen und Sichtweisen von unabhängigen Experten setzen müssen. Diese hätten Aussagen zu Wirksamkeit und Sicherheit deutlich objektiver und glaubhafter vermitteln können als das Unternehmen selbst. Das Unternehmen hätte noch viel mehr um die öffentlich erlebte Glaubwürdigkeit und inhaltliche Validität seines Produktes kämpfen müssen.
  • Dass der AstraZeneca Impfstoff der erste Coronaimpfstoff war, der angesichts seiner einfachen Verteilung und Lagerung das Zeug dazu hatte, weltweit Menschenleben zu retten, wurde vom Unternehmen viel zu wenig offensiv platziert.
  • Eine verkorkste Produkteinführung hat die Marke des gesamten Unternehmens beschädigt: Den Impfstoff mit der Marke des Unternehmens zu positionieren, hätte spätestens nach den ersten PR-Misserfolgen hinterfragt werden müssen. Das Naming des Vakzins hätte also deutlich früher und offensiver platziert werden müssen, um die Dachmarke AstraZeneca in der Krise zu entlasten.
  • Auch der deutlich günstigere Preis ist ein Argument, den der Pharmakonzern für sich hätte stärker vermitteln müssen: Denn er wirkt gegen das Klischee der überreichen und mächtigen Pharmaindustrie. AstraZeneca hätte glaubhaft vermitteln können, die Mission Menschenleben zu retten ganz klar im Fokus zu haben – und nicht den Ertrag. Eine Pharmafirma, die Problemlösungs- UND Sympathiepunkte sammelt, das wäre es gewesen….

Für weitere Informationen zum Thema Covid-19 gehen Sie auf die offiziellen Sites des österreichischen Gesundheitsministeriums (https://bit.ly/32kRW2E), des österreichischen Innenministeriums (www.bmi.gv.at) und der AGES (https://bit.ly/2PlF3QB).

Sie haben Feedback, Kommentare oder Fragen? Dann kontaktieren Sie mich: peter.weixelbaumer@cs2.at

 

1 Vgl.z. B.  https://science.orf.at/stories/3204349/

2 Vgl. z. B.  https://kurier.at/chronik/welt/ema-begrenzte-zulassung-fuer-astrazeneca-vakzin-denkbar/401169019

3 Vgl. z. B. https://www.salzburg24.at/news/welt/astrazeneca-mehr-nebenwirkungen-werden-gemeldet-101811559

4 Vgl. z. B. https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/corona-impfstoff-streit-zwischen-eu-und-astra-zeneca-eskaliert-17167990.html

5 Vgl. z. B. https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-01/astrazeneca-corona-impfstoff-lieferengpaesse-vertrag-eu

6 Vgl. z. B. https://futurezone.at/science/italien-ermittelt-wegen-todesfaellen-durch-thrombosen-nach-astrazeneca-impfung/401345588

7 Vgl. z. B. https://www.zeit.de/politik/2021-03/astrazeneca-corona-impfung-impfstoff-aussetzung-nachrichtenpodcast

8 Vlg. z. B. https://www.sn.at/panorama/oesterreich/drei-viertel-sagen-nein-zu-astrazeneca-103219243

9 https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/corona-astrazeneca-neuer-name-vaxzevria-100.html

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